Die Dankesbriefe für die Geschenke zur Jugendweihe, abends am Eßtisch von der Mutter diktiert; die Einkaufstour nach Karlovy Vary, wo es außer Obladen und Kondensmilch nichts zu kaufen gibt; der Ferienjob als Zimmermädchen im Hotel: Roswitha Harings Alltagsminiaturen erzählen uns von der Enge, den kleinen Fluchten und den unhinterfragten Zwängen eines Lebens in der städtischen Provinz. Ihre Mädchenfiguren sind leicht linkisch und in ihrer Wehrlosigkeit berührend, sanfte Außenseiterinnen, die der Bosheit der anderen ins offene Messer laufen. Es ist der registrierende Blick, der mehr weiß, als Harings Heldinnen von der Welt begreifen. Was ihre Geschichten so bestechend macht, ist die Mischung aus Poesie und Genauigkeit, eine subtile Beobachtungsgabe, die die rätselhaften Regungen am Rande des Gesichtsfeldes wahrnimmt und die jedes Einverständnis unterläuft. Kein Zweifel: Es ist eine deutsche Vergangenheit, die uns aus diesen Geschichten entgegenblickt, aber es ist eine Vergangenheit ohne Etiketten, die uns teilhaben läßt an einer Wirklichkeit, die auch unsere ist.