Wie lässt sich staatliche Herrschaft mit und über Literatur begründen und sichern? Astrid Henning spürt dieser Frage am Beispiel Heinrich Heines in der jungen DDR nach. Schon früh legitimierte deren sozialistische Staatsführung mit dem Werk des Dichters die Existenz des Arbeiter- und Bauern-Staates als historische Notwendigkeit. „In unserer Republik verwirklicht sich, was ein Heine einst erträumte“, hieß es 1956 zum Heine Jahr aus dem Kulturministerium. Im Deutsch-Unterricht stand vor allem Heines „Wintermärchen“ als Klassiker auf dem Stundenplan, um die historischen Wurzeln der neuen Gesellschaftsordnung und die Notwendigkeit eines deutschen Nationalstaats zu begründen. Die Schüler sollten dabei einen Zusammenhang von sozialer und nationaler Befreiung erkennen. Patriotismus wurde damit auch im Sozialismus zu einer positiven Tugend und alles Nichtdeutsche zu einem antisozialen Aggressor gegen die eigene Identität und Erlösung. Aufbauend auf diesem Erziehungskonzept wird auch verständlich, weshalb viele Ostdeutsche im neuen Europa eine eigene nationale Identität aufrechterhalten und die Erfüllung dieser Identität zum Maßstab für ein Gelingen der deutschen und vielleicht auch einer europäischen Vereinigung machen.