Das von Pierre Nora initiierte und von anderen Ländern übernommene Forschungskonzept der „Lieux de mémoire“, machte es sich zur Aufgabe Gedächtnisorte historisch zu rekon-struieren, die im kollektiven Gedächtnis verankert sind und für die jeweilige Nationsbildung von konstitutiver Bedeutung waren. Dieser Band will eine solche Sicht kritisch hinterfragen.
Eine historische, empirische Analyse macht deutlich, dass in der Vergangenheit Gedächtnis für die Konstruktion von Nation zwar vereinnahmt wurde, dass jedoch die Elemente bzw. Codes, aus denen sich ein Gedächtnisort zusammensetzt, auch für andere von konstitutiver Bedeutung sein können und die gleichen Elemente und Codes in Gedächtnisorten unter-schiedlicher Gesellschaften (Nationen) nachweisbar sind. Unter diesen Aspekten kommt dem Paradigma: Zentraleuropa, das nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart von kultureller Differenz geprägt ist, besondere Aufmerksamkeit zu. Versteht man Kultur als das Ensemble von Elementen, mittels derer Individuen in einem sozialen Kontext verbal und nonverbal kommunizieren, versteht man also unter Kultur einen Kommunikationsraum, ist Zentraleuropa von zahlreichen differenten Kommunikationsräumen gekennzeichnet, die sich nicht nur konkurrenzieren, sondern zum Teil ineinander übergehen. Gerade an solchen „Grenzbereichen“ und Schnittstellen sind Prozesse von Inklusionen und Exklusionen nach-weisbar. Sie führen dazu, dass sich neben den unterschiedlichen Kommunikationsräumen ein übergreifender, entgrenzter Kommunikationsraum ausbildet, in welchem die gleichen Zei-chen, Codes und Symbole verwendet werden, die eine gemeinsame, nonverbale Sprache er-möglichen; sie können jedoch auch unterschiedlich erinnert bzw. „gelesen“ werden und damit Krisen- und Konfliktpotentiale freilegen und verstärken. Gedächtnis und Erinnerung sind folglich nicht nur lokal (national), sondern zugleich auch in diesem entgrenzten, „globalen“ Kommunikationsraum verortet.