Die autobiographischen Aufzeichnungen des jüdischen Arztes Dr. Julius Grunewald (1860–1929) aus Kaldenkirchen an der deutsch-niederländischen Grenze führen Kindheit und Jugend eines hellwachen, scharfsichtig beobachtenden und früh schon seine Lebensumstände reflektierenden Jungen vor Augen. Von väterlicher Seite streng jüdisch-orthodox geprägt, von mütterlicher Seite eher liberal und vor allem musisch beeinflusst, beschreibt Grunewald seine Kindheit und Jugend in einer Generation, deren Eltern noch Metzger und Kleinhändler, deren Kinder aber schon Großbürger und wissenschaftlich herausragende Persönlichkeiten waren. Grunewald sieht seine Glaubensgenossen durchaus kritisch, stellt aber die religiöse Inbrunst, die ihn als Jugendlicher in Synagoge und Familie erfasste, detailreich, glaubhaft und nachvollziehbar dar. Viele andere Aspekte – das Verhältnis zur christlichen Bevölkerung, der Besuch konfessioneller Schulen, die politische Orientierung der Juden im Kulturkampf – machen die Lektüre dieser Kindheits- und Jugenderinnerungen zu einer einmaligen Binnensicht jüdischen Alltags zwischen 1860 und 1880.