Eines der bedeutendsten neuen Bildthemen des 16. Jahrhunderts ist die Glaubensallegorie 'Gesetz und Gnade' – die auf das individuelle menschliche Schicksal bezogene, symbolische Gegenüberstellung von ausgewählten Szenen des Alten und Neuen Testamentes. Über Druckgraphik und Handelswege zum Teil erstaunlich rasch verbreitet, ist das Thema bald in nahezu ganz Europa zu finden. Als Bildschmuck auf Luxusgütern wie auf Alltagskunst, in sakralem wie in weltlichem Kontext wird es zum facettenreichen Spiegelbild jener dramatischen Umbruchphase zwischen spätem Mittelalter und früher Neuzeit. So vielschichtig das Bildthema in seiner theologischen, historischen wie kunsthistorischen Bedeutung ist, so umstritten ist es in der Forschung. Vor allem in Hinblick auf Ursprung und Anliegen der Allegorie gehen von jeher die Wertungen auseinander, so dass es bis heute im konfessionellen Spannungsbogen zwischen protestantischer und katholischer Bekenntniskunst steht. Die über 320 bekannten Beispiele der Allegorie werden hier erstmals vollständig in ihrem kunsthistorischen Kontext vorgestellt, nach aktuellem Forschungsstand diskutiert und auf ihren konfessionellen Charakter hin neu überprüft – mit teilweise überraschenden Ergebnissen.