Frau Hoffmann hat sich entschieden. Sie wird sich von ihrem Balkon in den Tod stürzen. Gründe dafür gibt es genug. Erst hatte sie an weniger drastische Methoden gedacht, doch diese dann wieder verworfen, weil die Gefahr, unentdeckt zu bleiben, einfach zu groß gewesen wäre. Außerdem war der Gedanke, dass sie stinkend und faulend in ihrem Bett, oder schlimmer noch, nackt mit einem Fön in der Badewanne, gefunden würde, für Frau Hoffmann noch ekelerregender als Essensreste und verkrustetes Besteck. Nein, das kam nicht in Frage. Lieber blutverschmiert auf der kargen Betonanlage vor dem Hauseingang. Elf Stockwerke sollten reichen.
Als sie gerade versuchte, auf das vom Regen feuchte Geländer zu klettern, um ihrem Leben ein Ende zu bereiten, fragte sie sich, ob sie es womöglich bereuen könnte, nicht mehr am Leben zu sein. Und in diesem Moment wurde ihr klar, dass sie das gar nicht beurteilen konnte, weil sie viele Dinge, welche die meisten Menschen als normal empfanden, bisher nicht getan hatte. Noch nie in ihrem Leben hatte sie eine Zigarette geraucht. Noch nie hatte sie eine weite Reise unternommen. Noch nie war sie mit Freunden auf einer Party gewesen. Sie hatte in ihrem ganzen Leben nur mit zwei Männern geschlafen, wovon der eine nicht nur nicht erwähnenswert sondern vollkommen bedeutungslos gewesen war. Sie hatte noch nie masturbiert, weil man in ihrer Familie der Meinung war, dass man so etwas Triebgesteuertes einfach nicht tut. Sie hatte nie einen schönen Sternenhimmel gesehen und noch nie im Meer gebadet.
Sie nahm ihren Fuß langsam wieder von der Brüstung. Sie wollte zwar sterben, doch sie konnte es noch nicht heute tun. So ein impulsives Verhalten sah ihr auch gar nicht ähnlich. Das mit der Reise und den Freunden und dem Sternenhimmel würde wohl nichts mehr werden. Und an der Tatsache, dass sie nur mit zwei Männern geschlafen hatte, konnte sie auf die Schnelle auch nichts ändern. Aber sie konnte noch anfangen zu rauchen. Und sie hatte durchaus noch die Möglichkeit zu masturbieren, bevor sie sich vom Balkon stürzte …

Frau Hoffmanns Figur ist der Inbegriff des unauffälligen, trostlosen Daseins. Sie ist neurotisch und unvollkommen und dennoch oder gerade deswegen liebenswert. Sie ist echt und glaubwürdig, und dabei unfreiwillig komisch und amüsant. Ihre Geschichte ist eine Hommage an das Leben, das man nicht verstreichen lassen sollte.

Eine satirische Geschichte mit vielleicht etwas mehr als einem Hauch schwarzen Humors.