Im Spiegel des Historismus entwickelt Eduard Stucken in seinem Roman „Die weißen Götter. Der Untergang des Aztekenreichs“ (1918-1922) ein ambivalentes Geschichtsbild der Zeit der Conquista und seiner Zeit vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg in Europa. Seine Geschichtskritik ergibt sich dabei aus der Distanz zwischen Schreibzeit und beschriebener Zeit, ohne im Faktischen eine Harmonisierung herbeizuführen. Stuckens abwägende Haltung zwischen Bewunderung für das historische Phänomen der Conquista und Bedauern über den Untergang der aztekischen Hochkultur wird inhaltlich durch die Ambiguität von Geschichte und Mythologie und formal durch das multiperspektivische Erzählverfahren deutlich gemacht.
Durch die innere Folgerichtigkeit der Mythologien wird die Geschichtlichkeit der Fakten relativiert und in der Tiefenstruktur des Romans eine neue Wirklichkeit konstruiert. Das interkulturelle Erzählen macht die Erneuerung deutlich und gestaltet somit neue Einsichten in das ständige Werden und Vergehen von Völkern und Kulturen, Weltordnungen und Religionen.