War Friedrich Schiller ein Philosoph? War Friedrich Schiller ein Kantianer?
Diese zwei Fragen geben in einer anschaulichen Weise den Kern vom „historiographischen Fall Schiller“ wieder und umreißen den Raum, innerhalb dessen sich der vorliegende Band bewegt. Die immer wieder bezweifelte philosophische Tiefe Schillers und seine oft verkannte Unabhängigkeit von Kant sollen hier ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken und manche philosophiegeschichtliche Vorurteile wegschaffen. Der junge Schiller steht hier als Beweis: die Karlsschulschriften (1779- 1780), das erste Drama (1781), die kurzen Essays und Gedichte (1782-1786) und die zwei fragmentarischen Romane (1786-1789) belegen den Ernst und die Originalität von Schillers Aufarbeitung der Grundgedanken der Aufklärung. Der junge Schiller durchläuft in den 1780er Jahren eine selbstständige philosophische Entwicklung, die ihn zu radikalen Ansichten führt. Die Nähe dieser Ergebnisse zu den Kantischen Thesen bringt Schiller dazu, sich mit Kant zu beschäftigen.
Das Fazit ist überraschend: Schillers eigene Interessen bestimmen die Art und Weise seiner Kant- Lektüre, nicht umgekehrt; der Philosoph Schiller existiert vor dem Kantianer Schiller, und jener stellt diesem die Maßstäbe bereit, die über die Aneignung von Kants System entscheiden sollen. Schillers Stellung innerhalb der gewöhnlichen Philosophiegeschichtsschreibung sollte nun erneut gedacht werden.