Ilse Aichinger, eine der bedeutendsten AutorInnen der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur, hat mit ihren nach 2000 publizierten Texten ein überraschend medienorientiertes Spätwerk vorgelegt, das vielfältige Ansatzmöglichkeiten für eine Neubetrachtung ihres Gesamtwerkes aus der Perspektive zeitgenössischer Medientheorie und Kulturkritik bietet. Ansätze zu einer solchen Revision zu formulieren war Aufgabe einer internationalen Tagung, die Anfang März 2011 auf Einladung des Deutschen Literaturarchivs in Marbach stattfand. Ausgehend von der in ihren jüngsten Texten leitmotivischen Thematisierung ihres Interesses für das Kino, für Film und Fotografie als Medien ihrer historischen Erfahrung zeigen die hier versammelten Referate auf, in welchem Ausmaß Aichingers Medienbezug in der Kontinuität einer geschichtskritischen Perspektive steht, der ihr Schreiben von Anbeginn verpflichtet war. Auf paradigmatische Weise versuchen die Beiträge dementsprechend ihre Texte neu zu perspektivieren innerhalb bisher kaum wahrgenommener Konstellationen von Heidegger bis Derrida, im Blick auf ihre Texte nachhaltig prägende strukturelle Muster vom Fotoalbum bis zum Film, wie auch im Rückgriff auf noch unveröffentlichte Materialien aus den Beständen ihres Vorlasses im Deutschen Literaturarchiv Marbach. Ergänzt werden die wissenschaftlichen Beiträge durch die Erstpublikation eines Essays von Aichinger über den Dichter Georg Trakl, den sie für eine Sendereihe des NDR Ende der fünziger Jahre verfasst hat und der bisher als verschollen galt.