Unsere Vorstellungen vom Verhältnis von Staat und Kirche werden entscheidend von der Rechtsphilosophie des 18. und frühen 19. Jahrhunderts bestimmt. Das epocheprägende säkulare Naturrecht widmete sich staatskirchenrechtlichen Fragen im Teilgebiet des "natürlichen Kirchenrechts". Dessen Anhänger leiteten aus übergeordneten Vernunftgründen Regeln ab, die - im Gegensatz zu den besonderen Rechtsordnungen einzelner Kirchen - für alle Religionen Gültigkeit beanspruchten. Die Kirche galt einerseits als eine mit autonomen Befugnissen ausgestattete Gesellschaft; ihre Existenz im Staat machte sie andererseits zum Objekt staatlicher Hoheitsrechte. Das Spannungsverhältnis von Gesellschaftsautonomie und Staatsaufsicht erlaubte die Legitimierung unterschiedlicher politischer Interessen: der Stärkung der kirchlichen Unabhängigkeit oder des staatlichen Einflusses. Thomas Hahn untersucht den Wandel von Inhalten und Funktionen des natürlichen Kirchenrechts im Zeitraum von ca. 1680 bis 1850.