Mit seiner Betrachtung "Über die Freiheit des Wortes" (1869) tritt Cyprian Norwid vor ein Publikum polnischer Emigranten in Paris. Im Gegensatz zur Redefreiheit (la liberté de dire) hebt er die an den Schöpfungsgesetzen orientierte Selbstregulierung des Wortes hervor, das sich - in scheinbarer Kraftlosigkeit - über Korrumpierung des Geistes, Lüge und Verschwommenheiten hinweg - zum prägenden Bild der Wahrheit ausformen und einer Epoche die geistige Richtung vermitteln kann. Norwids Diktion - ein poetischer Fluss, durch Attacke, Panoramen, verblüffende Blicke und Ironie charakterisiert - galt den Auguren von Kunst und Poesie als Indiz für moderne Diktion wie bei Charles Baudelaire und Gérard de Nerval. Indessen: Norwids Werk erweist sich als ambivalente Einheit von geistiger Tradition und dringlichem Befreiungsschlag durch die poetischen Mittel. Seit seiner Wiederentdeckung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist Norwid fester und maßgeblicher Bestandteil polnischer Geisteskultur.