Kultur ist nicht nur seit nunmehr vier Jahrzehnten die zentrale Kategorie der Volkskunde und ihrer disziplinären Fortentwicklungen in Deutschland und darüber hinaus, Kultur ist – ungeachtet aller Problematik – auch eine der wirkmächtigsten Ordnungsvorstellungen der Moderne. Als Konzept der Selbstauslegung hat Kultur zu keiner Zeit eine ähnliche Reichweite und Anziehungskraft besessen wie heute, zugleich beschreibt sie ein Feld wachsender Ökonomien, ist weltweit Gegenstand politischen Handelns und nicht zuletzt Schlüsselbegriff und Fluchtpunkt einer Reihe von sich zusehends als Kulturwissenschaften verstehenden Fächern. Seit dem von Tübingen ausgehenden „Abschied vom Volksleben“ nimmt der um die alltägliche und lebensweltliche Dimension erweiterte Kulturbegriff eine zentrale Stellung im disziplinären Selbstverständnis des Faches ein. Die Wendung hin zu einer mehr prozessualen und relationalen Vorstellung von Kultur, wie sie in den letzten Jahren verstärkt vollzogen wurde, betrifft daher den Kern volkskundlicher Kulturwissenschaft. Vor diesem Hintergrund bildet die momentan zu beobachtende Konjunktur – bei gleichzeitiger Krise des Kulturkonzepts – eine besondere Herausforderung für das Fach.
Der 38. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, die kulturale Wende im Fach einer umsichtigen Evaluierung zu unterziehen und dabei zu fragen, wie sich eine Kulturwissenschaft zu rüsten hat, die für sich sowohl eine selbstkritische Zuständigkeit reklamiert, die aber gleichzeitig auch auf die veränderten Bedingungen für ein Verstehen der kulturalen Dimension der sozialen Welt zu reagieren hat.