Mit den Akten zur internationalen Tagung Polis und Porträt liegt eine nützliche Zusammenstellung von Synthesen zu Kontexten hellenistischer Bildnisstatuen vor, die vorwiegend aus aktuellen Qualifikationsarbeiten und Forschungsprojekten von Nachwuchswissenschaftlern der Klassischen Archäologie und der Alten Geschichte hervorgegangen sind. In der Mehrzahl der Beiträge geht es um die Frage, welche kommunikativen Absichten und Leistungen aus der raumspezifischen Aufstellung und Verteilung von Porträtdenkmälern in den Poleis und Heiligtümern Griechenlands und Kleinasiens abgeleitet werden können. Die Standbilder mit ihren Inschriften werden demnach vor allem als Medien begriffen, über die in der hellenistischen Öffentlichkeit primär und langfristig kollektive Wertbegriffe wie Ehr- und Erinnerungswürdigkeit ausgehandelt wurden. Da sich solche 'Ehrenstatuen' in der Praxis grundsätzlich intensiver Konkurrenz ausgesetzt sahen, bedurfte es bei ihrer Platzierung und Gestaltung strategischer Überlegungen, die den veränderungsanfälligen Umständen Rechnung tragen mussten. In einer ausführlichen Einführung zum Forschungsstand wird u. a. zusammengefasst, welche sich ablösenden Tendenzen in dieser dynamischen Grundkonstellation im Verlauf der Epoche beobachtet werden können.
Unter den Kontexten der Porträtstandbilder stehen einzelne prominente wie prägnante Beispiele im Fokus: Auf der zentralen Ägäisinsel Delos, gilt das Augenmerk vor allem der diachronen Entwicklung der Monumente im Apollon-Heiligtum (Herbin) und den auf die Spitze getriebenen Repräsentationsformen auf der sog. Italiker-Agora (Trümper). Anhand des Athena-Heiligtums von Pergamon (Mathys) werden die spezifischen Rahmenbedingungen bürgerlicher Selbstdarstellung in einer hellenistischen Residenzstadt deutlich. Im traditionsreichen Temenos des Zeus in Olympia mussten für den wachsenden Bestand an Statuen völlig neue Standorte geschaffen werden wie etwa vor der Echohalle (Leypold), während auf der Agora von Thasos (Biard) der zunehmende Einfluss der Römer Maßnahmen zu einer Neuorientierung der Denkmäler bewirkte.
Über den topologischen Ansatz hinaus sind die Beiträge auch übergreifenden Fragen gewidmet wie dem komplizierten Verhältnis von 'Öffentlich' und 'Privat' (Ma, Griesbach, Sporn) bei Ehrenstatuen, sei es im Bezug auf die Kontexte, sei es im Bezug auf die Auftraggeber. Einzeluntersuchungen zur ikonographischen Definition sozialer Rollenbilder wie z.B. bei Strategen (Laube) und zur Modifizierung oder Konstruktion von 'Erinnerungslandschaften' auf der Akropolis von Athen (Krumeich) bzw. in der sog. Ärzteschule der italischen Koloniestadt Elea (Galli) runden die Betrachtung der Porträtdenkmäler als Medien ab. Insgesamt liefert der Band nicht nur zahlreiche neue Daten zu den archäologischen Primärquellen, sondern auch eine weitreichende Revision der Befunde unter neuer Perspektive.