Bis heute gehört Karl Jaspers (1883–1969) mit seinem Frühwerk ›Allgemeine Psychopathologie‹ zu den methodischen Klassikern der Psychiatrie. Mit ›Strindberg und van Gogh‹ legte er pathographische Fallstudien vor, die auf dem Weg von der Psychiatrie zur Philosophie den Zusammenhang von Kunst und Krankheit in den Blick nahmen. In Überlegungen zu Friedrich Hölderlin klang hier schon die Frage an, die später in den Pathographien zu Friedrich Nietzsche und Max Weber stärker noch zum Tragen kam: Wie können Krankheit und Erkenntnis positiv verknüpft sein? Die ideengeschichtlichen Essays von Matthias Bormuth zeigen, wie Jaspers unter den Bedingungen psychischer Krankheit die besondere Freiheit schöpferischen Schaffens betonte. Sie begreifen seine Ansichten gerade in kritischem Kontrast zu Max Webers Diagnose der Moderne, der weit über Jaspers hinaus ging, und geben mit Dieter Henrich Hinweise, worin die produktive »Grenzerfahrung« solch ärztlichen Philosophierens liegt. Pathographie als Kulturwissenschaft hat im 21. Jahrhundert noch nichts von ihrer Aktualität eingebüßt.