Die vorliegende Studie behandelt die vielfältigen Mythen und Rituale Südamerikas vom Tiefland bis zu den Anden. Allen Traditionen gemeinsam ist die Gewissheit, dass zwischen Diesseits und Jenseits, Menschen und Gottheiten eine Verbindung besteht und dass die verschiedenen Kosmosbereiche miteinander vernetzt sind. Ein häufiges Vorurteil geht davon aus, dass religiöse Auffassungen stratifizierter, staatsbildender Gesellschaften komplizierter als diejenigen von Stammesgesellschaften mit einfacher materieller Kultur sind. Die Komplexität religiöser Ideen ist jedoch unabhängig vom sozialen Gefüge. Gesellschaften, die dem einer westlichen Weltanschauung verhafteten Beobachter wegen ihrer Lebensweise oder kargen materiellen Kultur als ‚primitiv‘ erscheinen, haben vielfach elaboriertere Weltbilder als Gesellschaften, die durch die Pracht ihrer Tempel beeindrucken. Die meisten Traditionen dieses Gebiets sind auch nicht von christlichen Lehren überlagert oder zu Randphänomenen herabgesunken, sie sind vielmehr lebendig und unmittelbar präsent.