Eine umfassendere Untersuchung zur Ästhetik des jungen Brecht ist notwendig, weil es noch keine gibt. Allzu sehr wurde der Autor auf die später entstandenen Werke festgelegt und die frühen Dichtungen hauptsächlich darauf hin befragt, ob sie in ihrem prononciert antibürgerlichen Gestus bereits in nuce den späteren großen „klassenkämpferischen“ Dichter erkennen lassen. Damit war der Blick für vieles andere verstellt.
Die Untersuchung spannt einen Bogen von den frühesten überlieferten Texten Brechts bis zu Baal, Trommeln in der Nacht und Gedichten der Hauspostille. Dokumente aus der Jugendzeit, die erst in den letzten Jahren entdeckt wurden, werden einbezogen, dazu eine große Zahl von neuen Quellen, Vorlagen und Bezügen. Es zeigt sich, dass Brecht von Anfang an von einem großen Lebensziel beseelt war: ein berühmter Dichter zu werden. Seine eng an die Philosophie Nietzsches angelehnte Schaffensweise der „Materialverwertung“, d.h. betont anti-idealistisch und „gesinnungslos“ auf die Wirklichkeit als Fundus und „Steinbruch“ zurückzugreifen, um Dichtung zu „machen“, ist die Basis Brechts geradezu strategischen Vorgehens, sein Ziel zu erreichen. Dichtung, verstanden als ästhetische Kategorie, nicht als Transportmittel von „Botschaften“ und Moralen. Eine Ausgangssituation, die manch spätere ideologische Vereinnahmung Brechts unter Vorbehalt stellt.