Die dualistische religiöse Bewegung der Spätantike, die unter dem Pauschalbegriff „Gnosis“ bekannt ist, zeichnet sich durch eine intensive Bibelexegese aus, welche eine grundlegende Ablehnung des biblischen Schöpfergottes und seines Gesetzes voraussetzt. Von der gnostischen Schriftauslegung ausgehend setzt sich diese Untersuchung mit der Frage der komplexen Beziehungen zwischen Textinterpretation und innerweltlichem Handeln auseinander, mit der gnostischen Kritik des mosaischen Gesetzes und deren Folgen für eine theologisch begründete Ethik. Die Untersuchung fokussiert auf die zwei Extreme gnostischer Ethik, nämlich die Enkratie, die einer streng enthaltsamen Lebensweise Ausdruck verlieh, und den Libertinismus, der mit einer gewissen moralischen Indifferenz und orgiastischen Ritualen verbunden war, als den beiden Varianten par excellence der praktischen Umsetzung gnostischer Theologie und Soteriologie.