Seit mehr als 20 Jahren prägt der Begriff „Individualisierung“ die Diskussion der Soziologen, aber auch die der Nachbardisziplinen und der Öffentlichkeit. Individualisierung wird geradezu zu einem Interpretament spätmoderner Risiko-, Erlebnis- und Multioptionsgesellschaften: Grund genug, Individualisierung als sozialethisches „Zeichen der Zeit“ zu entziffern. Die zeitgenössische Christliche Sozialethik ist trotz ihres interdisziplinären Ansatzes bisher weitestgehend unbeeindruckt von dieser Diskussion geblieben. Lediglich in den Diskursen über gesellschaftlichen Wertewandel, Kommunitarismus und Bürgergesellschaft melden sich Fachvertreter zu Wort. Die grundlegenden Ambivalenzen von Chancen- und Zumutungsindividualisierung, die das Individualisierungsparadigma kennzeichnen, wurden kaum beachtet. Das „Zeitalter des eigenen Lebens“ (Beck) ist nach wie vor geprägt von sozialen und institutionellen Vorgaben. Zugleich bietet es dem Individuum umfangreiche Freiheiten, die als Chancen und Beteiligungsmöglichkeiten genutzt werden sollten, anstatt sie als Bedrohung des sozialen Zusammenhalts zu werten. Mit der „Option für die Individualisierungsverlierer“, die im Kontext einer Neuvermessung von Beteiligungsgerechtigkeit in die interdisziplinäre Diskussion eingeführt wird, leistet die Untersuchung einen genuin sozialethischen Beitrag. Illustriert wird dieser durch einen Ausblick auf die Debatte zu einer beteiligungsgerechten Modernisierung des Bildungssektors. Zugleich wird das Verhältnis von soziologisch-empirischen Zeitdiagnosen und theologisch-ethischen Reflexionen einer Hermeneutik der „Zeichen der Zeit“ neu bestimmt.