In aller Stille hat nun an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ein Unternehmen begonnen, das schlicht und provozierend den Namen 'AG Berliner Klassik' trägt. Das klingt zunächst nach Germanistik für die Berliner Republik, nach einem neuen Image für die arme Stadt mit ihrem Größenwahn und dem Gefühl, regelmäßig zu kurz gekommen zu sein. Es verbirgt sich aber dahinter eines der interessantesten Vorhaben der gegenwärtigen Literaturwissenschaft. Conrad Wiedemann, der an der Technischen Universität Berlin lehrt, hat es angeregt.
Es begann im Goethejahr mit dem Unbehagen darüber, dass zum Ruhme Weimars die kulturelle Blütezeit Berlins zwischen 1786 und 1815, zwischen dem Tod Friedrichs II. und dem Wiener Kongress verdrängt und marginalisiert worden ist. Verzichtet hat man damit darauf, eine "urbane Klassik" zu entdecken. Das stille, abgeschirmte, der Konzentration geweihte Weimar sei, so Wiedemanns erste Polemik, geschichtslos, immobil, "ohne Emanzipationslinie" und eine künstliche Erscheinung: getragen von vier eigens zusammengerufenen, schreibenden Männern, Wieland, Goethe, Herder, Schiller. Nach deren Tod war es dann vorbei. Die Berliner Klassik sei in allem das Gegenteil, auch besitze sie eine organische Vorgeschichte: die vielen Formen und Richtungen der Aufklärung in der Stadt. Berlin scheint im Unterschied zu Weimar die Stadt der Mobilität, der ungewöhnlichen, in hohem Maße autonomen Lebensentwürfe, der raschen Kommunikation und einer besonderen Erotik des Dialogs.