Der Stalinismus mobilisierte die Subjektivität der Menschen. Dies ist eine Erkenntnis, die kulturwissenschaftlich orientierte Ansätze und Fragestellungen, aber auch neu erschlossene sowjetische Quellen aufdrängen. Gefordert war vom Einzelnen nicht nur eine aktive Partizipation, sondern auch die habituelle Aneignung der Werte und Normen des Systems. Das gross angelegte kollektive Gesellschafts- und Zukunftsprojekt basierte auf einer spezifischen sozialen Logik persönlichen Engagements, das von beiden Seiten, vom Einzelnen wie vom System, immer wieder neu versichert werden musste. Die eingesetzten Mittel wie die genutzten sozialen Praktiken lassen sich über die heute zugänglichen Quellen rekonstruieren. Auffällig sind darunter die vielen Ego-Dokumente, die neben den klassischen Formen des Tagebuchs und der Korrespondenz auch besondere sowjetische Formen aufweisen: Stenogramme von Produktionsberatungen, Partei- und Selbstkritiksitzungen sowie Selbstberichte oder Verhörprotokolle. Um die Wechselbeziehungen zwischen dem Individuum und dem System zu erfassen, lassen sich Interviews mit Zeitzeugen ebenso nutzbar machen wie polizeiliche Beobachtungsberichte. Das Blickfeld der hier versammelten Texte reicht von der Herrschaftsperspektive auf die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger anhand der von Staatssicherheitsagenturen durchgeführten Überwachung über die Manifestationen von Eigen-Sinn im Betrieb und in der Öffentlichkeit bis zu persönlichen Erinnerungen an die Stalinzeit. Im Mittelpunkt stehen die vielfältigen Trans- und Interaktionen zwischen dem Parteimitglied und der Partei, zwischen dem Untersuchungsrichter und dem Untersuchungshäftling, zwischen dem Einzelnen und dem Kollektiv, zwischen Individuum und System.