Um Verstehen geht es in allen Disziplinen der Universität, und wie die Erfahrung lehrt nicht weniger um Missver¬stehen und Nichtverstehen. Das ist so selbstverständlich, dass man es häufig gar nicht ausdrücklich meint erwähnen zu müs¬sen. Aber wer zu studieren anfängt, wird schnell auf die Gren¬zen seines Verstehens gestossen. Und wer an der Universität unterrichtet und forscht nicht weniger.
Da keine Disziplin davon ausgenommen ist, ist es ange¬bracht, den Problemkomplex von Verstehen, Missver¬stehen und Nichtverstehen auch ausdrücklich zum Thema zu machen, also zu fragen, was es heisst zu verstehen, zu deuten, zu interpretieren. Es ist nicht zu erwarten, dass darauf nur eine richtige Antwort gegeben werden kann. In den verschiedenen Wissenschaften stellen sich die Probleme und die sich dar¬aus ergebenden Aufgaben zwar ähnlich, aber nicht immer auf dieselbe Weise. Die Aufgaben reichen vom Verstehen und der Interpretation von Texten über das Verstehen von mündli¬cher Rede bis zum Deuten nicht-sprachlicher Phänomene wie sozialer Praktiken, Regeln, Institutionen, Traditionen, Bilder, Träume, Modelle, Theorien und Lebensentwürfe.