Im Mann ohne Eigenschaften geht Musils Protagonist der Frage nach, ob man auf dem heiligen Weg mit dem Kraftwagen fahren könne. Der Kontrast zwischen moderner Technik und altfrommer Idee beruht auf dem Bedeutungsverlust der Religion in der modernen Gesellschaft. Zugleich stellt Musil die Exklusion des Ich aus einer „Welt von Eigenschaften ohne Mann“ fest. Seine Ich-Theorie führt wiederum auf den „Weg der Gottergriffenen“. Kommt der Religion demnach eine konstitutive Funktion für die moderne Semantik von Individualität zu?
Niklas Luhmann deutet Säkularisierung nicht als Verlust, sondern als Wandel der gesellschaftlichen Funktion des Religionssystems, dessen Leitdifferenz deshalb neu bestimmt werden muss. Die vorliegende Lektüre des Siebenkäs basiert auf Luhmanns beobachtungstheoretischer Definition von Immanenz/Transzendenz. In drei Teilen werden die Trennung von Moral und Religion bei Jean Paul, die Dissoziation des Individuums in Rolle und Person sowie die Konstitution des Ich im Gottesverhältnis rekonstruiert und verhandelt. Die Literaturanalyse ergibt hier als Funktion der Religion die systematische Kritik der Gesellschaftsstruktur einerseits und die Kompensation von Exklusionsindividualität andererseits. Durch die Referenz auf Musils Konzept der Eigenschaftslosigkeit und des ,anderen Zustands‘ wird die Perspektive ins 20. Jahrhundert geöffnet.
Der Band leistet einen Beitrag zur Jean-Paul-Forschung ebenso wie zur kritischen Auseinandersetzung mit Luhmanns Systemtheorie.