Das Konzept des 'politischen Messianismus', wie es Jacob Leib Talmon (1916-1980) geprägt hat, verbindet ursprünglich transzendente Heilsvorstellungen mit den politisch-weltlichen Ideologien totalitärer Systeme. So lassen sich in den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts weltliche Heilsvorstellungen finden, die zu verheerenden Entfesselungen von Gewalt und Terror geführt haben und noch führen können. Im Werk Talmons überschneiden sich The-men der politischen Theorie, Philosophie, Religion und Geschichte. Dabei zeigen sich deutlich Talmons mentalitätsgeschichtlicher Ansatz und seine ideengeschichtliche Methode, die seine totalitarismuskritische Forschung als philosophische Geschichtsschreibung charakterisieren. Talmon unterscheidet liberale und totalitäre Entwicklungslinien der Demokratie. In der totalitären Demokratie spielt die 'natürliche Ordnung', die auch für Rousseaus Denken prägend ist, eine große Rolle. Sie weist laut Talmon deutlich messianistische Züge auf. Folglich ist der politische Messianismus mit jeder Offenbarungsreligion unvereinbar. In letzter Konsequenz ist die Erwartung des heilbringenden Zieles, das als Wahrheit verkündet wird, so mächtig, daß die Menschen bereit sind, alles zu tun, um als Auserwählte zu diesem Ziel zu gelangen. In den totalitären Regimen des 20. Jahr-hunderts erreicht die Wirkkraft des politischen Messianismus ihren grausamen Höhepunkt. Mit dem politischen Messianismus als Konzept philosophischer Geschichtsschreibung weist Talmon der Totalitarismuskritik neue Wege.