Die Erforschung des Pietismus bezieht sich in der Hauptsache auf die Veröffentlichungen der wichtigen Schlüsselpersonen. Zur Frage, wie die pietistischen Pastoren (zumal auf dem Lande) ihre konkrete Gemeindearbeit verrichten, gibt es weit weniger Quellen. Christoph Matthäus Seidel (1668–1723) war ein Schüler Philipp Jacob Speners, der über seine Pfarramtstätigkeit in Schönberg bei Seehausen einen detaillierten Bericht für seinen Nachfolger hinterließ.
Dabei entsteht ein höchst plastisches Bild pietistischen Gemeindeaufbaus. Es zeigt sich, dass so gut wie keine spezifischen pietistischen Aktivitäten wie Konventikelwesen, Bekehrungsversuche u. ä. stattfinden, weil Pfarrer Seidel alle Hände voll zu tun hat eine geordnete gottesdienstliche Gemeindearbeit aufzubauen. Auch in der Schulbildung und bei der Kirchenzucht kann er keine wesentlichen Erfolge vermelden. Schönberg bleibt eine altmärkische Durchschnittsgemeinde.