Herder war „kein Stern erster oder sonstiger Grösse, sondern ein Bund von Sternen, aus welchem sich dann jeder ein beliebiges Sternbild buchstabiert.“ Jean Pauls Feststellung charakterisiert die Herder-Rezeption bis heute. In der Germanistik, den Geschichts- und Kulturwissenschaften gehen die Beurteilungen Herders weit auseinander. Besonders kontrovers wird sein Kultur- und Nationsverständnis bewertet. Herder gilt sowohl als humanistischer Weltbürger, kämpferischer Antikolonialist und Relativist wie als Begründer eines spezifisch deutschen Nationalismus oder Vertreter kolonialistischer Rechtfertigungsstrategien.
Der Band bietet eine werkübergreifende Untersuchung von Herders Kulturtheorie und seiner Humanitätsidee in Auseinandersetzung mit der widerspruchsvollen Rezeption. Zunächst werden die verschiedenen Ebenen der Humanitätsidee und Kulturtheorie entfaltet. Weiterhin werden Herders Volks- und Nationsbegriff, seine Beurteilung der Naturvölker und der Bedeutung interkultureller Einflüsse, sein Religionsverständnis sowie die Frage nach einem kulturellen Relativismus oder Pluralismus behandelt. Herder wird als Begründer unseres modernen Kulturbegriffs gezeigt, der das Dilemma zwischen der Pluralität der Kulturen mit ihren unterschiedlichen Wertsystemen und der Notwendigkeit, universal gültige oder zumindest akzeptierte Grundwerte festzuschreiben, mit einer Vielzahl an Implikationen aufgezeigt hat.