Hört man nur mit dem Herzen gut? Oder braucht es Verstand und Besonnenheit, um ein musikalisches Kunstwerk zu erfassen? Über die ›richtige‹ Art der Musikrezeption haben sich nicht nur Komponisten, Musikpublizisten und Philosophen ihre Gedanken gemacht. Nach dem Aufstieg der Musik zur Kunst aller Künste, jener kopernikanischen Wende in der Zeit um 1800, beschäftigen sich vermehrt auch Erzähler und Romanciers mit dem Thema. Mit Vorliebe schicken sie ihre Heldinnen und Helden in Opernhäuser oder Konzertsäle, setzen sie dort der musikalischen Verführungsmacht aus und entfesseln damit Szenen von ungeahnter Dramatik und Erotik.
Das fiktionale Musikpublikum, das in dieser Längsschnittstudie erstmals systematisch analysiert wird, verweist auf Kontinuitäten jenseits geläufiger Epochengrenzen: Es widerspiegelt die Dominanz und Persistenz einer oft rauschhaften Gefühlsästhetik weit über ihre (vermeintliche) Blütezeit, die Romantik, hinaus. Das Panorama der untersuchten Werke reicht von Wilhelm Heinse über E. T. A. Hoffmann bis zu Heinrich Mann und Franz Werfel. Seitenblicke zu Autoren wie Balzac, Flaubert und Thackeray schärfen diese Entwicklungslinien im größeren europäischen Kontext.