Raabes späte Schriften verdienen mehr Aufmerksamkeit, als ihnen gemeinhin geschenkt wird. Der Grund ist derselbe, der ihm zeitlebens den Ruf eines schwer genießbaren Außenseiters einbrachte: Er ist von den Autoren des sog. „Realismus“ derjenige, der sein Schreiben am meisten reflektiert und von daher den Übergang in die Moderne anbahnt. Die vorliegende Studie greift die Gebrochenheit des Erzählens auf und möchte sie neu, präziser fassen: Der Autor erzählt nicht mehr im herkömmlichen Sinne, das heißt er simuliert nicht Wirklichkeit, sondern thematisiert und hinterfragt dieses Simulieren – und zwar so, daß im Erinnern von Geschichten die Ablenkung von kompakten Erzählabläufen und Gestaltungen als deren poetische Konstitution erscheint.
Die Konstruktion von Ablenkung in ihren verschiedenen Erscheinungsformen in Schriften der sogenannten Braunschweiger Zeit ist daher Thema der Untersuchung. In deren Zentrum stehen die drei Werke Meister Autor, Stopfkuchen und Altershausen.
Ihren Ausgang nimmt die Studie von außerliterarischen Wahrnehmungskonzepten der zweiten Hälfte des 19. Jhs. Sie lassen erkennen, wie sich ein erkenntnistheoretischer Konstruktivismus durchsetzt, der die Welt als je eigens vom Subjekt konstituierte erkennbar macht. Analogien sogenannter realistischer Autoren werden hergestellt und als Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit ausgewählten Werken Wilhelm Raabes genutzt.