Unter den sprachwissenschaftlich-philologischen Disziplinen befindet sich die Romanistik in der vergleichsweise günstigen Lage, daß sie – im Gegensatz zu fast allen anderen Nachbardisziplinen – nicht nur die romanischen Einzelsprachen von den Anfängen ihrer schriftlichen Überlieferung seit dem frühen Mittelalter bis in die heutige Zeit zum Gegenstand ihrer Betrachtung und Erforschung zugrunde legen kann, sondern darüber hinaus auch deren gemeinsame Grundlage, cum grano salis das (Vulgär)lateinische, der gesamten Geschichte des antiken Italien und des römischen Reiches heranziehen und nutzen kann. Lediglich eine Einschränkung bereitet der romanistischen Forschung bis in die heutige Zeit Probleme: Die Entstehung und Herausbildung der romanischen Sprachen aus dem Lateinischen im Zeitraum vom Ende des Weströmischen Reiches bis in das Mittelalter, die sich kaum anhand von größeren Texten aus dieser Zeit genauer verfolgen läßt – doch eben dieser Umstand bot den Forschern immer wieder Anlaß zu eigenen Überlegungen und Schlußfolgerungen. An dieser Stelle wäre zumindest das umfangreiche Werk von Carlo Tagliavini, Einführung in die romanische Philologie (1998 erschienen) zu würdigen, das nicht nur die frühesten Texte romanischer Einzelsprachen (besonders in Italien, dem Frankenreich und Hispanien) vorführt, sondern auch ausführliche Kommentare dazu bietet. Ein Desideratum bleibt indes ein Handbuch, in dem spätlateinische wie frühromanische Texte jenes kritischen Zeitraums von der ausgehenden Antike bis zum Mittelalter erörtert werden, dies soll daher in der vorliegenden Arbeit geschehen.