Literarische Reisen ins Eis – ein Thema, dessen Wurzeln bis in die Antike zurückreichen. Die Untersuchung eröffnet eine Perspektive auf eine versteckte, gleichwohl umfangreiche Tradition, die transparent gemacht wird. Auch ihr Symbolgehalt wird analysiert und dessen Bedeutung für die neueren Eisreise-Texte dargestellt. Die literarische Reise ins Eis hat als strukturelles und thematisches Phänomen eine sich in Phasen vollziehende Entwicklung durchlaufen. Auch das Motiv der Reise im Allgemeinen unterliegt der Veränderung: Nicht mehr die Bewegung des Individuums im Raum steht im Zentrum, vielmehr wird die Bewegung im Individuum, werden die inneren Prozesse, die der äussere Raum auslöst, thematisiert. Dabei rückt die interkulturelle Dimension Interaktionsmuster, Fremd- und Selbstwahrnehmung sowie Kulturtransferprozesse – erst in postkolonialer Zeit ins Zentrum der literarischen Betrachtung. Die jüngeren Beispiele der literarischen Reisen ins Eis vollziehen einen Paradigmenwechsel, der eine neue Perspektive in den Vordergrund der literarischen Betrachtung rückt: Nicht mehr die Sicht der Europäer auf die Eiswüste, sondern die Innensicht der dort lebenden Völker und ihre Sichtweise auf die Eindringlinge wird literarisch gestaltet – the ice writes back. Exemplarisch hierfür ist der tschuktschische Autor Juri Rytchëu, der die Begegnung der Kulturen aus der Perspektive seines Volkes schildert.