Gewalt als eine zentrale Konstante von Lebenswelt und Kulturgeschichte sperrt sich regelrecht dagegen, zum Phänomen einer selbstreflexiven Untersuchung zu werden. Eine Phänomenologie, die Phänomene via Reduktion und Analyse freilegen will, distanziert sich von lebensweltlichen Perspektiven wie theoretischen Voreinstellungen und orientiert sich ganz an der „Sache selbst“, deren Sinn und Geltung sich offenbaren soll. Gewalt aber scheint ausserhalb ihres Faktums nichts zu sein. Verliert daher der reduzierte Sinn von Gewalt nicht gerade das Faktum der Gewalt, das schon aufgrund seiner Codierung und Performanz einer Reduktion auf Sinn und einer rein phänomenologischen Beschreibung sich verweigert? Kann dann Gewalt überhaupt als Phänomen erfasst werden oder handelt es sich stets um etwas, das einem Lebewesen oder einem Ding „geschieht“ und von diesem Geschehen unablösbar ist? Ist somit eine Phänomenologie der Gewalt überhaupt möglich und wie kann Gewalt zu einer Sache der Phänomenologie werden? Und inwiefern verbirgt sich in dem Versuch einer Phänomenologie der Gewalt nicht auch eine Gewalt der Phänomenologie? Die Beiträge dieses Bandes suchen von phänomenologischen und literaturwissenschaftlichen Positionen her nach Antworten auf diese grundsätzlichen Fragen.