Während die meisten deutschen Umgangssprachen als Sprachkontakterscheinung aus der deutschen Standardsprache und einem gesprochenen deutschen Dialekt charakterisiert werden können, verdankt das oberschlesische Deutsch seine Eigenart im hohen Maße dem Bilingualismus seiner Sprecher. Die spezifischen Eigenschaften, durch die es sich von der deutschen Standardsprache unterscheidet, beruhen auf keinem deutschen Dialekt, sondern lassen sich auf den ständigen Kontakt des Deutschen mit der polnischen oberschlesischen Mundart bzw. der polnischen Standardsprache zurückführen.
Zwar können nicht alle Eigentümlichkeiten der in Oberschlesien gesprochenen deutschen Sprache durch einen Einfluss des Standardpolnischen und seiner Varietäten erklärt werden, doch spielt er hier eine ganz besondere Rolle. Auswirkungen des deutsch-polnischen Sprachkontaktes lassen sich sowohl im Sprachsystem der von den Oberschlesiern gebrauchten Varietät, als auch in den kommunikativen Praktiken der bilingualen Oberschlesier beobachten.
Interessant ist es dabei zu sehen, welche Sprachkontakterscheinungen infolge der soziopolitischen Veränderungen der Nachkriegszeit und des damit zusammenhängenden verstärkten Sprachkontaktes des Deutschen mit dem Polnischen in der Rede der heutigen Oberschlesier anzutreffen sind.
Die vorliegende Arbeit basiert auf neuem Sprachmaterial, das ich in den Jahren 2000 bis 2003 unter Bilingualen der Gegend von Oberglogau gesammelt habe. Sie beruht auf einem umfangreichen Korpus aus verdeckten Aufnahmen und Wortprotokollen, die im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung zusammengestellt wurden.
Kontaktlinguistisch angelegt verfolgt die Studie dokumentatorische und erkenntnistheoretische Ziele:

- als Zeitdokument soll hier festgehalten werden, wie die in die Untersuchung involvierten Oberschlesier in der gegebenen Zeit gesprochen haben
- als linguistische Untersuchung sollen die verschiedenen Arten der Manifestation des Bilingualismus in den sprachlichen Produkten der zweisprachigen Oberschlesier systematisiert und analysiert werden
Das Augenmerk wird also auf diejenigen Besonderheiten der System- und Kommunikationsebene gerichtet, die auf den Bilingualismus der untersuchten Oberschlesier zurückzuführen sind:

- es soll aufgezeigt werden, welche Abweichungen von der standarddeutschen Varietät in der Phonetik, Lexik und Grammatik der deutschen Sprache der Oberschlesier als Transferenzen aus dem Polnischen interpretiert werden können- zusätzlich soll gezeigt werden, aus welchen Gründen und in welchen Situationen die Sprecher von einer Sprache in die andere wechseln und wie sie dadurch ihre kommunikativen Bedürfnisse realisieren
Gleichzeitig werden die Aussagen der internationalen Kontaktlinguistik auf ihre Gültigkeit am deutsch-polnischen Sprachmaterial überprüft und durch neue Erkenntnisse ergänzt.