Ziel der interdisziplinär arbeitenden Untersuchung ist die Decodierung teilweise hochkomplexer Eherechtsdiskurse am Beispiel ausgewählter Erzähltexte vom 12. bis zum 15. Jh. Die einzelnen 'Fallstudien' setzen jeweils am Schnittpunkt von epischem Strukturmuster und kulturellen Semantiken an. Zum einen wird gezeigt, dass das prominente Erzählschema der gefährlichen Brautwerbung nicht eine inhaltsleere Szenenkonvention ist, sondern basales kulturelles Wissen verarbeitet, das auf die Verweigerung der Braut auf seiten der Brautsippe in segmentären Gesellschaften zurückgeht und Filiationsnormen verhandelt. Zum anderen wird nachgewiesen, dass das unterschiedlichen sozialen Ordnungen und kulturellen Sinn- und Wertsystemen zugehörige literarische Strukturmuster, Träger ausgesprochen komplexer eherechtlicher Diskurse sein kann, die das zähe Ringen zwischen dem sich etablierenden kanonischen Recht und dem althergebrachten Eherecht vom 12. Jh. bis zum Tridentinum notieren. Zu den hier verhandelten Positionen gehören u.a. das Ehebewilligungsrecht (Nupturientenkonsens vs. autoritative Sippenvergabe), die Entführung bzw. der Raub der Braut, der Inzest bzw. die verbotenen Verwandtschaftsgrade, die sogenannte 'heimliche Ehe', die Sponsaliendistinktion und die 'bedingte Eheschließung', das Beilager, die Frage der Lösbarkeit, die 'legitimatio per subsequens matrimonium'.