Wie keine andere Heilige erlebte die schöne Büßerin Maria Magdalena im Frankreich des 19. Jahrhunderts eine außergewöhnliche Popularität. Diese erklärt sich nicht – wie zunächst zu vermuten wäre – aus einer gestärkten katholischen Glaubensbewegung als vielmehr aus profanen Bedeutungsverschiebungen und -inversionen der christlichen Ikonographie: Magdalena wurde Sinnbild des gefallenen Mädchens, der trauernden Geliebten, der fatalen Verführerin.
In allen Glaubens-, Sitten- und Modeströmungen des 19. Jahrhunderts kam Magdalena als Musterfall von Lebenskrise und deren Bewältigung vor. Sowohl bekehrte Prostituierte als auch konvertierte Intellektuelle identifizierten sich mit ihrer Vita. Die christliche Erzählung von Buße und Reue wurde nunmehr zum profanen Exemplum für die individuelle Schuldfrage in einer modernen, säkularisierten Gesellschaft umgedeutet.
Abseits des traditionellen kunsthistorischen Kanons offenbaren die hier vorgestellten Gemälde und Skulpturen von meist vergessenen Künstlern ein modernes Potential, das dazu beiträgt, starre Kategorien wie 'konventionelle Salonmalerei' und 'traditionsbrechende Avantgarde' zu überwinden.