Die Lesart eines literarischen Textes variiert mit dem Vorwissen über den Umgang mit literarischen Texten. Dieses Wissen kann der Text selbst nicht geben. Es wird mit der Sozialisation erworben. Die Verschiedenheit kulturellen Wissens zum Lesen und Verstehen von Literatur am Beispiel von China zu konkretisieren ist ein wesentliches Anliegen dieser Arbeit. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Thema des Fremd- und Literaturverstehens selbst.
Im Verstehenskonzept der Empirischen Literaturwissenschaft mit Bezügen zum Radikalen Konstruktivismus ist literarisches Lesen individuell und sozial/kulturell bestimmt. Der Text als Funktion des Lesens und Verstehens existiert nicht unabhängig vom Leser und seiner Aktivität. Intersubjektivität, d.h. partielle Angleichung der Lesarten entsteht durch Bewährung in der Kommunikation, die von konventionellen Regularien bestimmt ist.
Der Vergleich literarischer Konventionen in Deutschland und China erfolgt durch die ver-gleichende Analyse ausgewählter Auszüge aus Lehrplänen und Lehrmaterialien des je muttersprachlichen Literaturunterrichts. Die Dokumente geben Auskunft über das in einer Gesellschaft als notwendig erachtete literarische Wissen, z.B. zu Referenzmodalitäten oder zu Funktionserwartungen im Umgang mit literarischen Gattungen.
Im Mittelpunkt der Praxisempfehlungen für die Literaturvermittlung in der (chinesischen) Auslandsgermanistik stehen die Sensibilisierung für kulturelle Differenzen im kommuni-kativen Umgang mit Literatur sowie das Einbeziehen des eigenkulturellen Literaturwissens.