Der Titel "Skandinavien und Mitteleuropa" hat eine signalartige Funktion, er soll, wie der Untertitel "Literarische Wahlverwandtschaften" erlaeutert, auf literarische Wechselbeziehungen zwischen den kulturell wenig erforschten Regionen Europas hinweisen, ohne den Ehrgeiz zu haben, sie vollstaendig zu beschreiben. Eigentlich sollen es eher Bausteine zu einer Monographie sein als eine planmaessig durchgefuehrte literaturwissenschaftliche Synthese.

Dieser methodologische Ansatz erklaert auch den mosaikartigen Aufbau des Buches, das beruecksichtigte Material ist aber keineswegs zufaellig geordnet, es steht schon ein wohl ueberlegter Zeit- und Raumbegriff dahinter. Zeitlich setzen die analysierten Beziehungen mit dem 17. Jahrhundert ein, raeumlich konzentrieren sie sich auf Daenemark, Polen, Schweden, Deutschland, Norwegen und Oesterreich, einschliesslich Galiziens.

Selbstverstaendlich werden die Kontakte punktuell und nicht strukturell aufgearbeitet und koennen deshalb jederzeit um weitere Beispiele ergaenzt werden.

Die Ungleichzeitigkeit kultureller Prozesse in Skandinavien und in Mitteleuropa hat sicherlich historische, politische und zivilisatorische Gruende. Bei der Aufklaerung dieser historischen und mentalen Ursachen koennen sicherlich die Ueberlegungen von Max Weber, Norbert Elias oder Reinhart Koselleck weiterhelfen, sie liefern aber nur den intellektuellen Rahmen fuer einen Gesichtspunkt, den man mit stofflichen Untersuchungen nachweisen muss. Einiges nachzuweisen ist in diesem Buch gelungen, z.B. die gegenseitige Beeinflussung der mitteleuropaeischen und skandinavischen Romantik oder den Einfluss der skandinavischen Moderne auf Oesterreich, Polen und Deutschland. Auch die Untersuchung von Einzelfaellen zeigt, wie Inspirationen schoepferisch verarbeitet werden koennen, und es geht hier sowohl um Baryka und Holberg, Kierkegaard und Kafka als auch um Kafka und Sørensen, Frisch und Rifbjerg, Rifbjerg und Grass oder Willumsen und Kaczynska, um nur auf deutlich erkennbare Lesarten hinzuweisen.

Die Tatsache, dass zwischen den skandinavischen und mitteleuropaeischen Schriftstellern lesbare Parallelen sichtbar sind, hat mehrere Gruende. Zum Ersten ist es die Faszination fuer aehnliche Stoffe der Weltliteratur, die sich lokal anwenden lassen, zum Zweiten die tiefe, komplexbeladene und existenziell begruendbare Weltempfindung, zum Dritten die Vorliebe für ungewoehnliche Biographien, die die Einmaligkeit der Schicksale als Erzeugnis einer kulturellen Gemeinsamkeit deuten lassen.

Selbstverstaendlich sind diese Parallelen als strukturelle Hauptelemente jeder vergleichenden literarhistorischen Studie anzusehen. Im Falle der skandinavisch-mitteleuropäischen Wahlverwandtschaften geht es aber vor allem um die kulturgeschichtliche Kontextualisierung vergleichbarer geistiger Tendenzen, persoenlicher Schicksale und aesthetischer Vermittlungsmodelle.

Dies zu zeigen ist nur partiell moeglich, deshalb erweckt das vorliegende Buch den Eindruck aneinandergereihter Einzelstudien. Dieser Eindruck ist nicht falsch, bei einer nachdenklichen Lektuere kommt man aber zu der Ueberzeugung, dass hinter der scheinbaren Atomisierung der Erfahrungen eine kulturgeschichtliche Gemeinsamkeit steht. Eben dies versuchte Georg Brandes am Anfang des 20. Jahrhunderts zu beweisen; den Gedanken des daenischen Aesthetikers weiterzufuehren ist das Anliegen dieser Studie.

Maria Krysztofiak im Vorwort