»Hier ruht Sigea. Das genügt. Wer weiterer Erklärungen bedarf, ist ein Barbar, der die schönen Künste nicht pflegt.« In diesem Epitaph, das der portugiesische Humanist André Resende anläßlich des Todes Luisa Sigeas 1560 verfaßte, wird deutlich, welchen Bekanntheitsgrad die 1522 im Königreich Toledo geborene Sprachgelehrte an ihrem Lebensende erreicht hatte. Ihr europaweiter Ruhm gründete vor allem auf einem Brief, den sie 1546 an Papst Paul III. in den fünf Bibelsprachen Latein, Griechisch, Hebräisch, Syrisch und Arabisch sandte, und auf einem 1566 gedruckten Lobgedicht, das sie ihrer Mäzenin, der portugiesischen Infantin Dona Maria, widmete.
Im Zentrum der zwischen Literatur- und Kulturwissenschaft angesiedelten Studie steht Luisa Sigeas längster überlieferter Text: der 1552 in Lissabon als Handschrift veröffentlichte Dialog Duarum virginum colloquium de vita aulica et privata. Darin erörtern zwei unverheiratete Frauen im Garten eines Landhauses die Frage nach dem wahren Glück und entwerfen das Modell einer Hofdame, deren Tugendhaftigkeit auf dem Studium der antiken Autoren beruht.
Die Studie von Susanne Thiemann ist eine der ersten, die über das Interesse an der Biographie der früh verstorbenen Ausnahmefigur hinausgeht, die Texte der Autorin im Spannungsfeld von Exzeptionalität und Exemplarität eingehender untersucht und in ihrem zeitgenössischen Kontext - zu dem sowohl die Topoi der humanistischen Rhetorik als auch die Problematik weiblicher Autorschaft gehören - verortet.