Mit der Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht endete im Jahre 1874 der Zyklus der 'Großen Reformen', mit dem das Russische Reich in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Gesamtkonzept zur allseitigen Modernisierung von Staat und Gesellschaft zu verwirklichen suchte. Dem Militär, der wichtigsten Machtstütze des Zarenreiches, fiel hierbei eine zentrale Rolle zu. Die Arbeit untersucht die Auswirkungen der Wehrpflicht auf die Strukturen der größten Streitmacht ihrer Zeit. Sie richtet ihren Fokus vor allem auf die Lebenswelt der Wehrpflichtigen, die so plastisch beschrieben wird, dass erstmals in deutscher Sprache die detaillierte Innenansicht der Vielvölkerarmee der Zaren zutage tritt. Der Autor zeigt, wie stark die Prägekraft des Zivilen im Militärischen war. Der Vorrang ziviler Interessen vor genuin militärischen erwies sich letztlich als das herausragende Merkmal der russischen Armee vor 1914; seine Geltung ist von der Konzeption der Wehrreform in den 1850er Jahren bis in den Ersten Weltkrieg hinein erkennbar. Das Gift des Militarismus zeigte in Russland eine nur sehr begrenzte Wirkung – maßgeblichen Anteil daran hatte die Allgemeine Wehrpflicht.