Literarische Begegnungen mit dem Kannibalischen erzählen selten von harmonischem Zusammensein, sondern vielmehr von konfliktreichen Auseinandersetzungen mit dem kulturell Fremden. Das Auftauchen eines kannibalischen Akts im literarischen Text generiert immer einen Exzeß: Es ist die angstvoll-faszinierende Begegnung mit dem ethnisch, sozial, religiös oder sexuell Anderen, die im Text verhandelt wird. Autoren und Autorinnen seit dem 19. Jahrhundert haben dieser bis heute virulenten kulturellen Thematik literarisch Ausdruck verliehen, indem sie historische Rückbezüge schaffen, geographische Deplazierungen vornehmen und Genregrenzen überschreiten. So handeln die Texte nur vordergründig vom Wahrheitsgehalt des kannibalischen Akts. Tatsächlich reflektieren sie stets aufs Neue aufgerufene, jahrhundertealte Stereotypisierungen. In den hier betrachteten literarischen Werken überlagern die Wunsch- und Angstphantasien vom Fressen- und Gefressen-Werden die Körper- und Sexualtabus der eigenen Gesellschaft. Der im Text aufgerufene kannibalische Akt als Erkundung einer kulturellen Befindlichkeit gestaltet sich hierbei zu einem Pakt mit den Lesern. In der Auseinandersetzung mit Menschenfresserei wird diese Literatur somit zum privilegierten Raum der Verhandlung kultureller Krisenmomente. – Ralph J. Poole ist Associate Professor of English an der Fatih University in Istanbul/Türkei.