Kürzer und genauer als mit dem Wort 'Traumwache' lässt sich nicht sagen, was in Jayne-Ann Igels jüngstem Buch zu finden ist: ein in Träumen geschärftes Wachbewusstsein. Von Träumen erwartet Igel, dass sie ihr etwas zeigen, was der Wirklichkeit eignet, was in ihr latent ist, aber noch ungesehen und unentdeckt. 'Ein Traum', sagt sie, 'setzt reale Orte und Personen in Anführungszeichen. Durch diese Veränderung können sie neu erfahren und erkannt werden. Der Traum knüpft andere Verbindungen und weist damit auf Zusammenhänge, die ich so nicht hätte denken können.' Es sind daher nicht phantastische Welten, die uns in diesen Träumen begegnen (auch wenn einige von alptraumhafter Beklemmung sind), sondern es ist die untergegangene und doch gegenwärtige Welt der DDR, es sind Leipzig, Dresden und Bitterfeld, die die Topographie dieser Träume bestimmen, und es ist das Personal von Igels letzter Erzählung 'Unerlaubte Entfernung', es sind Mutter und Vater, die uns hier wieder heimsuchen, kenntlich und doch leicht verrückt. Jayne-Ann Igels Schreiben ist Archäologie, ihre Arbeit ist das Freilegen der Versteinerungen und Verkrustungen unseres sozialen und individuellen Lebens, Knöchelchen für Knöchelchen.
Jayne-Ann Igel, geboren 1954 in Leipzig, lebt nach einer Bibliothekslehre und einem Theologiestudium in Dresden, wo sie sich auch politisch engagiert. Zuletzt erschien 2004 bei Urs Engeler die Erzählung 'Unerlaubte Entfernung': 'Wir können von Glück sagen, daß wir solch eine seltene Träumerin des Textes und der eigenen Geschichte haben.' (Rainer G. Schmidt)