Wenn am Strand die Hüllen fallen, lässt die Zivilisation keineswegs die Zügel schleifen, sondern hält ihre Kinder ganz besonders fest im Zaum. Wo sonst werden sie so eng und streng in das unsichtbare KorSett ihrer Scham- und Peinlichkeitsschwellen geschnürt, wo wird ihnen mehr Selbstkontrolle und Selbstdisziplin abverlangt als beim Sonnenbaden oben ohne am Strand. Sich freizügig geben, ohne sich bloßzustellen, sehen, ohne zu starren, wissen, wann, wo, für wen und unter welchen Umständen die Hüllenlosigkeit statthaft, oder aber skandalträchtig ist.

Das sind heikle Balanceakte auf beiden Seiten, jedoch keineswegs ohne Netz und doppelten Boden. Vielmehr steht den Akteuren, wie uns der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann überzeugend vor Augen führt, eine ausgefeilte, wenn auch ungeschriebene Etikette mit detaillierten Verhaltensgeboten und -verboten zur Verfügung. Diese alltäglichen und weitgehend unbewussten gesellschaftlichen Spielregeln werden dem Leser schrittweise und mit viel soziologischem Verständnis nachvollziehbar gemacht.