Mit dem allmählichen Durchbruch gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse trat zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Bildungsgeschichte des protestantischen Pfarrberufs in eine neue Epoche ein. Die pastorale Berufspraxis erforderte selbstständige Vermittlungsleistungen. So lag es in der Umbruchzeit nahe, einen dem veränderten Verständnis des Pfarrberufs Rechnung tragenden Praxisbezug zu organisieren, um die erhöhten Anforderungen berufsspezifischer Erfahrungen und deren reflexive Verarbeitung ins Zentrum von Ausbildungsbemühungen über das akademische Theologiestudium hinaus zu stellen. Dies geschah durch ein Bündel von Maßnahmen, die eine systematische Umgestaltung der Kandidatenzeit zu einer praktischen Ausbildungsphase zur Folge hatten. Die geregelte Einführung von Predigerseminarbesuchen und Lehrvikariaten stellte einen wesentlichen Beitrag zur modernen Professionalisierung des Pfarrberufes dar. Birgit Weyel untersucht den Zeitraum von der Gründung des Wittenberger Predigerseminars im Jahre 1817 bis zum Kirchengesetz von 1898. Ihre historische Rekonstruktion der Umwandlung der Kandidatenzeit in eine regelrechte Ausbildungsphase evangelischer Pfarrer in Preußen ist ein Beitrag zu gegenwärtigen pastoraltheologischen und ausbildungskonzeptionellen Diskussionen. Das Buch kann programmatisch geführten Debatten um ein zeitgemäßes Pfarrerbild und entsprechende Ausbildungsreformen die nötige Tiefenschärfe verleihen, die aktuelle Problemkonstellationen verstehen läßt.