„Ich will nicht, dass man später von mir sagen kann, ich hätte Ernst Cassirer abgewiesen“, hat Wilhelm Dilthey einmal im Zusammenhang mit Cassirers Berliner Habilitation im Jahre 1906 gesagt. Die von Cassirers Ehefrau Toni Cassirer überlieferte Äusserung Diltheys mag als Beleg für die Wertschätzung dienen, die Dilthey dem jungen Neukantianer entgegenbrachte. Die engen Beziehungen zwischen den philosophischen Konzepten Diltheys und Cassirers wird seit geraumer Zeit gewürdigt; vor allem der Blick auf Cassirers reichen Nachlass bezeugt eine tiefe Geistesverwandtschaft, die nicht nur darin besteht, dass sich Dilthey ebenso wie die Neukantianer auf dem Boden der kantischen Philosophie verortete und sich den von Wilhelm Windelband formulierten Anspruch – „Kant verstehen, heisst, über ihn hinauszugehen“ – zu eigen machte.
Das Buch zeigt nach einem ausführlichen Blick auf die Konzeptionen Diltheys, der vor allem als Philosoph und Methodologe der Geisteswissenschaften gilt, und Cassirers, der die Naturwissenschaften und ihre Kulturbedeutung hervorhebt, das verblüffende Mass an Übereinstimmung in zentralen Punkten. Der Autor belegt dies an zahlreichen Parallelen – etwa an der von beiden hoch angesiedelten Bedeutung Goethes, beider intensiver Rezeption und Wertschätzung der Renaissance-Philosophie und vor allem der von beiden geteilten Überzeugung, dass es eine Logik der Kulturwissenschaften nicht nur geben muss, sondern dass man sie auch entfalten kann. Wichtig ist dabei die Kategorie der „Bedeutung“, die sich in Diltheys Spätwerk beim Verstehen von Kunst und Kultur dem Bedeutungs-Begriff in Cassirers anthropologischer Semiotik nähert.