Der Suchbegriff ´Individualität´ richtet sich einerseits auf eines der produktivsten Felder philosophisch-theologischer Diskurse westlicher Kultur, andererseits - bezogen auf die mittelhochdeutsche Literatur - auf etwas, dessen Beschaffenheit höchst unklar, dessen Vorhandensein höchst umstritten ist. Erstes Ziel der Studie ist es deshalb, das ebenso attraktive wie diffuse Interpretament ´Individualität´ in Hinblick auf die mittelhochdeutsche Epik um 1200 auf eine solide methodische Basis zu stellen. Verfolgt wird dabei ein Neuansatz, der sich von einer subjekt-, person- oder identitätsbezogenen Individualitätsdefinition abwendet zugunsten eines Individualitätskonzepts der Inkommensurabilität, der Nicht-Identität, Differenz, Abweichung und Ausgrenzung. Die semantischen Spielarten und Konstitutionsbedingungen einer solchen ´Abweichungsgrammatik´ werden in detaillierten Einzeluntersuchungen herausgearbeitet. Dabei kristallisiert sich als Organisationsprinzip von Individualität eine Ästhetik der Negation heraus, die bis in die Moderne hinein als kulturhistorische Mitgift ihre Wirkung getan zu haben scheint.