Biografische Studien zu Vertreterinnen der Romantik sind seit den 60er Jahren ein bevorzugtes Genre. Die feministische Literaturwissenschaft und die historische Frauenforschung weisen darüber hinaus neue feministische, sozialkritische und psychoanalytische Arbeiten über die "Geschlechterdebatte" und über Weiblichkeitsmuster der romantischen Literatur auf. Sie präsentieren neue Werkeditionen und neue Arbeiten zum Leben und Schreiben der Frauen der Romantik.Über Sophie La Roche, Karoline von Günderrode, Bettina von Arnim, Caroline Michaelis-Böhmer-Schlegel-Schelling, Dorothea Mendelssohn-Veit-Schlegel und Sophie Schubart-Mereau-Brentano entstanden durch die Entwicklung der feministischen Literaturwissenschaft beeinflusste Monographien.
Allein seit beispielsweise 1990 entstanden sieben literarische Biografien, Dissertationen oder Habilitationen über das Leben und Werk von Bettina von Arnim, drei über Sophie Schubart-Mereau-Brentano, drei über Karoline von Günderrode, drei über Sophie La Roche, eine über Caroline Michaelis-Böhmer-Schlegel-Schelling und eine über Dorothea Mendelssohn-Veit-Schlegel. Diese Schriftstellerinnen fanden noch zusätzlich Beachtung in einigen Studien zum Zeitalter der Romantik.Die 1775 in Berlin geborene und 1833 in Reval gestorbene Sophie Tieck-Bernhardi-Knorring fand trotz der skizzierten Entwicklung kaum Beachtung. Neben Romanen und Erzählungen verfasste sie Gedichte, Balladen, Theaterkritiken, Briefe, Dramen, Märchen und einen Essay. Ihr ganzes Leben widmete sie der Literatur. Sie war in den intellektuellen Kreisen allgemein bekannt. Sie war über mehrere Jahrzehnte eine berühmte Schriftstellerin und begehrte Mitarbeiterin von Almanachen und Zeitschriften. Ihr Name war den deutschsprachigen Lesern in Berlin, Rom, München, Heidelberg und Reval vertraut. Sie nahm an der Herauskristallisierung der Berliner Romantik und an der damaligen Geschlechterdebatte aktiv teil. Sie bestimmte den Anfang der europäischen Entwicklung der Frauenliteratur mit. Aus diesen Gründen kann sie als eine bedeutende Schriftstellerin aus der Zeit der Romantik gelten. Ihre Biographie, die bekannte Namen romantischer Schriftsteller, Herausgeber und Philosophen, berühmte Zeitschriften und Orte der damaligen Zeit beinhaltet, ist ein spannendes Forschungsfeld.
Bis heute, 170 Jahre nach ihrem Tod, wird Sophie Tieck-Bernhardi-Knorring in den modernen Schriftstellerinnenlexika nur im historisch-kulturellen Kontext oder in Verbindung zu den berühmten Romantikern erwähnt. Die traditionelle Literaturgeschichte berücksichtigt Sophie Tieck-Bernhardi-Knorring allenfalls als Teil der Biographie Ludwig und Friedrich Tiecks, August Ferdinand Bernhardis oder August Wilhelm Schlegels. Nur in wenigen Nachschlagewerken zur Romantik begegnet man kurzen Anmerkungen, die über ihr Leben und ihre literarischen Arbeiten Auskunft geben. Das literarische Werk von Sophie Tieck-Bernhardi-Knorring ist weitgehend unbeachtet geblieben und aufgrund von wenigen Erstveröffentlichungen und dem Fehlen von Editionen schwer zugänglich. Viele ihrer Werke erschienen anonym oder unter einem anderen Namen (Ludwig Tieck, August Ferdinand Bernhardi, August Wilhelm Schlegel). Einige Texte liegen immer noch nur handschriftlich vor oder man kann sie verstreut in einigen Schriften finden. Andere wurden in Sammlungen veröffentlicht. Es existiert keine Gesamtausgabe ihrer Werke und keine vollständige Briefsammlung Sophie Tiecks. Viele ihrer Briefe sind in Ludwig Tiecks und August Wilhelm Schlegels Briefsammlungen verstreut zu finden. Die zweite und zugleich letzte Herausgabe ihres Romans "St. Evremont" fand 1845 statt. Im Jahre 1847 wurden die ersten Erzählungen der debütierenden Autorin zum letzten Mal in Altenburg von ihrem Sohn Wilhelm Bernhardi herausgegeben.
Ihre Lyrik ist oft nur in ihren Briefen vorzufinden. "Donna Diana ein Lustspiel in drei Aufzügen", Trauerspiele in Fragmenten, Gesänge, einige Briefe und Gedichte liegen in der Deutschen Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz zu Berlin im Manuskript vor.
Die Autorschaft einiger Texte, die in den "Straußfedern" und "Bambocciaden" publiziert wurden, ist bis heute umstritten. Durch die Anonymität ihrer frühen Texte lassen sich ihre frühen Erzählungen nur anhand von zeitgenössischen Bibliographien und Literaturgeschichten nachweisen. Aufgrund der fehlenden Quellen können anonyme Kritiken und Rezensionen für das "Berlinische Archiv der Zeit und des Geschmacks" nicht mehr belegt werden. Auch ihre Beiträge (wahrscheinlich Gedichte) für die Werke ihres Bruders Ludwig Tieck bleiben weiterhin unbekannt. Weil vieles nur in Fragmenten handschriftlich überliefert worden ist, lässt sich vermuten, dass einiges verloren gegangen ist. Es existieren keine Manuskripte aus ihren späteren Lebensstationen in Erwita und Reval. Aus diesem Grund können vielleicht einige Werke gar nicht dokumentiert werden. Einige von ihren Briefen und Dramen wurden bis heute nicht transkribiert.Seit 1847 gab es nur im Jahre 2000 eine einzige Neuedition ihrer "Wunderbilder und Träume in elf Märchen" im trafo verlag.Trotz der Neuedition bleibt Sophie Tieck-Bernhardi-Knorring bis heute weitgehend unbekannt. Woran liegt das, dass sie im Verlaufe des 19. Jahrhunderts in Vergessenheit geriet? Wie konnte es geschehen, dass sie trotz der Wiederentdeckung zahlreicher schreibender Frauen des 18. und 19. Jahrhunderts im Schatten der berühmten Frauen der Romantik steht, im Schatten von Frauen, die durch ihre Briefsammlungen, Gedichte, Salons- oder Elitezugehörigkeit bekannt wurden?
Die Forschungsarbeit von Ewa Eschler geht diesen Fragen detailliert nach.