Im „Haus Seedorn“ (Kloster auf Hiddensee) entstanden im Sommer 1940 zwei Fassungen von Gerhart Hauptmanns Iphigenie in Delphi. Das Stück endete schließlich mit Iphigenies Tod und Orests Erhöhung zum „Völkerhirten“. Der Dichter war in Hochstimmung, die deutsche Wehrmacht hatte Paris erobert. Was später wie ein Widerstandsdrama erschien, war ursprünglich parallel zur Begeisterung über deutsche Siege entstanden. Was später wie die Beschreibung nationalsozialistischer Nacht über Deutschland gelesen wurde, war das Ergebnis von Hauptmanns Leidenschaft für die chthonischen, die unterirdischen Götter und für die Finsternisse; nächtliche Begegnungen mit ihnen schlugen sich in Wandnotizen über dem Bett des Nobelpreisträgers nieder. Hauptmann fügte seiner Iphigenie in Delphi drei weitere Stücke bis 1945 hinzu; sie bildeten die Atridentetralogie, die Geschichte von Morden, Verbrechen, dunklem Schicksal und Tod. An dem zuerst entstandenen Stück, dessen Handlung die Geschichte der Atriden beendet und ein über die Siege jubelndes Volk auf die Bühne brachte, änderte der Dichter nichts mehr. Aus einem Missverständnis entstand Weltliteratur. Schicksalsglaube und fehlgeleiteter Patriotismus verführten den Dichter zu einem gigantischen Werk, das nach Kriegsende anders gelesen wurde als es ursprünglich gedacht war.
Die Gerhart-Hauptmann-Stiftung betreut und pflegt seit 1994 „Haus Seedorn“. Auf die von Besuchern immer wieder gestellten Fragen nach der Bedeutung der Wandinschriften und der Rolle des Dichters zwischen 1933 und 1945 gibt das Buch eine mögliche Antwort.