Angesichts der Wiederkehr der Religi-on in den öffentlichen Diskurs fragt der Band nach der vielfältigen Nach-wirkung der Religion in den Diskursen der Moderne und zugleich nach der methodischen Provokation, die Religi-on für die Kulturwissenschaften heute darstellt. Die letzten Jahrzehnte haben deutlich gemacht, dass Religion ein blinder Fleck des modernen Selbstverständnis-ses ist. Die allzu eindeutige Gleichset-zung der Moderne mit dem Ver-schwinden von Religion hat nicht nur verdeckt, dass innerhalb wie außer-halb Europas religiöse Symbole und Praktiken wieder an Relevanz gewin-nen. Sie hat auch die Kulturgeschichte einseitig als lineare Entchristianisie-rung oder Säkularisierung verstanden und damit viele Probleme und Para-doxien aus dem Grenzbereich von Religion, Philosophie und Kultur un-sichtbar gemacht, nicht zuletzt die problematische Natur der Kulturwis-senschaft selbst, in deren Konstituti-onsphase um 1900 die Religion eine zentrale und höchst ambivalente Rolle gespielt hat. Der Band versucht, mit Warburgs Begriff des ‚Nachlebens’ dieser un-heimlichen Präsenz des Religiösen auf verschiedenen Feldern nachzugehen und zugleich zu reflektieren, was die Beschäftigung mit religiösen Spuren und Subtexten für die kulturwissen-schaftliche Arbeit bedeutet: Für die Kritik der politischen Theologie, für die Genealogie kultureller Praktiken im Spannungsfeld von Athen und Jerusa-lem, für die Konfrontation des christli-chen Europas mit anderen religions-kulturellen Entwürfen aus Judentum oder Islam, für eine andere, dialekti-sche Reflexion der 'Säkularisierung'.