Der Pariser Buchmaler Jean Pichore ist zwischen 1502 und 1520 in mehreren Quellen bezeugt, die ihn mit Bilderhandschriften und mit dem Pariser Buchdruck verbinden. Obwohl diese Dokumente schon im 19. Jahrhundert publiziert waren, erkennt die Forschung erst seit zehn Jahren die zentrale Rolle des Pariser Künstlers für einen längst bekannten Stil französischer Buchmalerei an der Schwelle zur Renaissance, der zuvor aufgrund großer Aufträge für den Rouenaiser Erzbischof Kardinal Georges d’Amboise als „Schule von Rouen“ galt.
Zwar ist Pichores Bedeutung inzwischen unbezweifelt, doch wird die Bestimmung seines Oeuvres weiterhin kontrovers diskutiert, da an der Ausstattung der Handschriften seines Stils offenbar mehrere Maler beteiligt waren, unter denen zwei Stilvarianten charakteristisch hervortreten. Da der der eine Stil die bedeutendsten Aufträge und die meisten Frontispizien bestimmt, während der andere den größten Teil der Werkstattproduktion ausmacht, stehen die Identität des Meisters und die Struktur seiner Werkstatt in Frage.
In einer Umbruchzeit des Buchgewerbes tritt Pichore als zukunftsorientierter Unternehmer auf, dessen Werkstatt nicht nur Buchmalerei, sondern auch Metallschnittserien für den Stundenbuchdruck produzierte. Im Jahr 1504 verantwortete er sogar - zusammen mit einem sonst nicht beurkundeten Remy de Laistre - zwei gedruckte Stundenbücher als Verleger. Ausgehend von Pichores bislang unterschätzter Rolle im Pariser Frühdruck erfahren seine Werkstatt, die Frage nach der Abgrenzung einzelner Künstler und die Herkunft der Vorlagen aus der Touroner Buchmalerei und deutscher Graphik neue Betrachtung.