Diese Studie hat sich von der Konzeption eines Aufsatzes, als die sie geplant war, weit entfernt. Zunächst war nur daran gedacht, eine bis dahin in der Forschung nicht behandelte und wohl auch nicht bekannte Abschrift von Mozarts Oper "Cosi fan tutte" vorzustellen und ihre Datierung zu versuchen. Kurz darauf erhielt die Autorin die Information, daß sich im größtenteils erhaltenen und seit 1991 in Hamburg wieder zugänglichen Bestand an Aufführungsmaterialien des 1765 errichteten Comödienhauses am
Gänsemarkt und des nachfolgenden Stadttheaters eine der umfangreichsten Sammlungen Wiener Singspiele außerhalb Wiens befände. Dazu gehört auch eine frühe Abschrift dieser
Mozart-Oper sowie weiteres Aufführungsmaterial. Dadurch veränderte sich die ursprüngliche Fragestellung: Das reiche Hamburger Material war nicht nur philologisch überaus interessant,
sondern es eröffnete die Perspektive auch auf die frühe Mozart-Opern-Aufführungspraxis. So erschien es sinnvoll, beides miteinander zu verbinden: die Datierung, Herkunftsbestimmung und eventuelle gegenseitige Relation von frühen Abschriften mit dem, was ihnen über die Aufführungspraxis dieses Werkes vor allem im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts zu entnehmen sei,
die Philologie also für die deutsche Operngeschichte, genauer: die Geschichte der Aufführungspraxis in Deutschland, Österreich und Böhmen, nutzbar zu machen.
Die Motivation für dieses Sammeln, das die Interpretation des Materials nicht ausschließt, trifft sich mit dem in den letzten Jahren angewachsenen Interesse der historischen Musikwissenschaft an einem lange vernachlässigten Gebiet: dem der Opernaufführungen im deutschsprachigen Theater um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Die hier vorliegende Studie reflektiert die auf Erfahrung und soziale Praxis der Individuen gerichtete Alltagshistorie, die vor mehr als zwei Jahrzehnten zum Gegenstand der Geschichtsschreibung avancierte, eine produktive Kontroverse in der bisherigen Geschichts- wie in der Sozialwissenschaft hervorrief und mit der Blickrichtung "von unten" auch eine neue Art der Kulturgeschichte betreibt. Denn selbst wenn es hier um das Meisterwerk eines Berühmten geht, so steht gerade nicht das unantastbare Kunstwerk "Cosi fan tutte" im Mittelpunkt: Es geht vielmehr darum, wie der Betrieb der höfischen und der städtischen - und gelegentlich auch noch reisenden - Bühnen diese Oper für die jeweiligen Bedingungen und Zwecke zubereitete, also um das, was die lebendige und gewöhnliche Theaterpraxis der Opernaufführungen um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert im deutschen Sprachgebiet aus dem Werk gemacht hat.
Mozarts Opern waren kein unantastbares Kulturgut, sondern Teil des Musiktheaters für den Tagesgebrauch, und daß dies dem Komponisten wohlbekannt war und er sich dem anzupassen
verstand, ist vielfach belegt. So stark Mozarts Bewußtsein von der Einzigartigkeit seiner Kompositionen auch gewesen sein mochte, so war er doch mit der Theaterpraxis von früh an so genau vertraut, daß die Anpassung an die jeweilige Situation für ihn ganz normal war. Wenn er im Oktober 1790 in Mannheim die Generalprobe und die Premiere seines "Figaro" miterlebte, so hörte er ihn nicht auf italienisch, sondern als deutsches Singspiel, und die einzige Kritik, die er an der Wiedergabe äußerte, bezog sich auf die zu langsamen Tempi, aber nicht auf die "deutsche" Einrichtung oder die vermutlich vorgenommenen Kürzungen.
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