Der Bäcker Samuel Körner wartete 1707 darauf, dass ihn Anna, die Königin von England, mit ihren Kutschen abholen liess. Der alte Obervogt Isaak Keller bestellte für ein imaginäres Reiterregiment beim Hutmacher 50 graue und 50 schwarze Hüte. Anna Schneider wollte sich ein Loch in den Kopf bohren lassen, um nachzusehen, was darin verborgen ist. Die Autorin erzählt die Geschichten von diesen und anderen wahnsinnigen Menschen im Zürich des 17. Jahrhunderts.
Lokale Fallstudien zu Wahnsinn in der Frühen Neuzeit sind trotz der Tatsache, dass die Geschichte von Geisteskrankheiten seit Michel Foucaults Werk 'Wahnsinn und Gesellschaft' auf der Agenda historischer Forschung steht, selten. Die vorliegende Studie zielt vor dem Hintergrund einer besonders dichten Überlieferung darauf, für einen geographisch eng beschränkten Raum - Stadt und Landschaft Zürich - ein umfassendes Bild des gesellschaftlichen Umgangs mit Wahnsinn zu entwickeln, das insbesondere die Sphäre des Alltags ausserhalb von Anstalten mit einschliesst. Vor allem wird dabei aufgezeigt, wie Geisteskranke von ihren Familien und Gemeinden versorgt wurden. Ein weiterer Fokus liegt auf der Perspektive der Geisteskranken selbst. Deutlich wird hier, wie Wahnsinnige mit der eigenen Feststellung ihres Andersseins sowie der Fremdzuschreibung von Wahnsinn umgingen.
Die Analyse von Wahnsinn aus verschiedenen Perspektiven ermöglicht eine Relativierung einer auf obrigkeitliche Disziplinierung ausgerichteten Blickweise. Sie zeigt, dass Wahnsinn ein Ergebnis von komplexen und dynamischen Interaktions- und Zuschreibungsprozessen war. An diesen Prozessen waren nicht nur die Obrigkeit und die Gelehrten beteiligt, sondern ebenso die Nachbarschaft, die Familie und die Kranken selbst.