Seitdem eine Frau aus der Uckermark im Herbst 2005 zur Bundeskanzlerin gewählt wurde, sieht es ganz so aus, als laufe der Osten dem Westen den politischen Rang ab. Fünfzehn Jahre nach der ersten sind wir Zeitzeugen einer zweiten 'Wende' geworden, die das Selbstverständnis der vereinigten Deutschen verändern könnte.
In dieser Situation scheint es ein lohnenswertes Unterfangen, sich der Geschichte der DDR auf eine andere Weise zu nähern, als es die Geschichtsschreibung bisher getan hat. Der Heidelberger Historiker Lothar Steinbach, der seit 1998 in Potsdam lebt, hat sich bald nach dem Mauerfall auf Spurensuche in die ostdeutschen Länder begeben und das Gespräch mit Menschen gesucht, deren Biografien von der Geschichte gleichsam überrumpelt worden waren. In jahrelangen Gesprächen und Interviews mit Opfern wie mit Tätern hat er anhand von zahllosen Einzelschicksalen das individuelle wie das kollektive Gedächtnis erforscht und die Bewusstseinsgeschichte der Ostdeutschen zu ergründen versucht. Sein Buch ist keine trockene Abhandlung über die untergegangene DDR, sondern eine spannende Reportage über die Lebensgeschichte von Menschen, die erst nach dem historischen Einschnitt von 1989/90 begonnen haben, über sich und ihre Vergangenheit(en) nicht nur in der DDR, sondern auch in der NS-Zeit nachzudenken.
'Bevor der Westen war' steht in der besten Tradition der 'Oral History': Es ist erzählte und kommentierte Zeitgeschichte und zugleich ein bedeutender Beitrag zur Zeitgeschichtsforschung, zur DDR-Geschichte und der deutsch-deutschen Erinnerungskultur nach der Wende.